Die Proteste mehren sich, der Widerstand wächst
Erstmals auf der Documenta
1977 werden zum ersten Mal seit der Gründung beider deutscher Staaten auf der documenta 6 in Kassel auch Künstlerinnen und Künstler aus der DDR präsentiert. Für die Auswahl der Beiträge ist der Staatliche Kunsthandel der DDR verantwortlich. Entsprechend werden in Kassel nur Arbeiten von staatskonformen Künstlern wie Willi Sitte, Bernhard Heisig und Wolfgang Mattheuer gezeigt.
Die Ausstellung wird jedoch von der Ausbürgerung Biermanns 1976 überschattet. Wie, so fragt man sich, ist es um ein Land bestellt, das auf Kritik mit Ausbürgerung reagiert? Die westdeutschen Künstler Georg Baselitz und Markus Lüpertz ziehen ihre Bilder aus Protest zurück. Auch andere Künstlerinnen und Künstler, die in der DDR verfolgt worden sind oder ausgebürgert wurden, protestieren. Journalisten liefern sich wortreiche Gefechte über Konzept und Wert dieser Ausstellung. Von der Mehrzahl der Besucher werden die Werke aus der DDR jedoch mit Interesse und Wohlwollen wahrgenommen.
Auch Manfred Krug geht
Zu den Protestierenden, die nach Biermanns Ausbürgerung keine Perspektive mehr in der DDR sehen, gehört auch der Schauspieler und Jazzmusiker Manfred Krug. Seinen Ausreiseantrag im April 1977 begründet er unter anderem mit den willkürlichen Absagen seiner Auftritte. Seitdem er den offenen Brief gegen die Ausbürgerung Biermanns unterzeichnet hat, bekommt er auch keine Rollenangebote mehr, was einem Berufsverbot gleichkommt.
Der preußische Ikarus
In einem seiner vielleicht schönsten Texte besingt Wolf Biermann den Doppeladler auf der Weidendammer Brücke in Ostberlin. In der „Ballade vom preußischen Ikarus“ beschreibt er seine persönliche Zerrissenheit und auch das geteilte Land. Der Liedtext wird kurz nach seiner Ausbürgerung veröffentlicht. Bei seinem Konzert am 13. November 1976 in Westdeutschland singt er den „Ikarus“ als Zugabe. Es beginnt so:
Dort wo die Friedrichstraße sacht
Den Schritt über das Wasser macht
Da hängt über der Spree
Die Weidendammer Brücke, schön
Kannst du da Preußens Adler sehn
Wenn ich am Geländer steh
Dann steht da der preußische Ikarus
Mit grauen Flügeln aus Eisenguss
Dem tun seine Arme so weh
Er fliegt nicht weg – er stürzt nicht ab
Macht keinen Wind – und macht nicht schlapp
Am Geländer über der Spree