Wo stehen wir?
Die Darmstädter Gespräche sind der Versuch, nach den Grausamkeiten des Zweiten Weltkriegs neue geistige Positionen auszuloten. Sie stoßen in den Nachkriegsjahren nicht nur in Fachkreisen, sondern auch in der Bevölkerung bundesweit auf große Resonanz. Die Sehnsucht der Menschen nach Kultur, nach geistiger Erneuerung und nach Werten für die gerade erst entstehende demokratische Gesellschaft ist groß.
Das erste Gespräch findet 1950 statt – parallel zur Ausstellung „Das Menschenbild in unserer Zeit“, die von der Neuen Darmstädter Sezession in den Ausstellungsräumen auf der Mathildenhöhe in Darmstadt initiiert wird. Bis 1975 folgen zehn weitere Gespräche.
Teilnehmer der ersten Gesprächsrunde sind unter anderem der Philosoph und Soziologe Theodor W. Adorno, der Künstler Willi Baumeister, der Kunsthistoriker Gotthard Jedlicka, der Psychoanalytiker Alexander Mitscherlich sowie der Kunstkritiker Hans Sedlmayr. Sie führen eine hitzige Debatte über abstrakte und figurative Kunst. Unversöhnliche Widersacher sind dabei Sedlmayr und Baumeister. Während Sedlmayr in seiner Abhandlung „Verlust der Mitte“ der Abstraktion jegliche Berechtigung abspricht, ist Baumeister ein Fürsprecher der abstrakten Kunst. Mehr noch: Für ihn stellt die gegenstandsfreie Kunst die höchste Stufe der bisherigen Kunstentwicklung dar.
Mit dem Kamm gemalt
Willi Baumeister ist vor dem Zweiten Weltkrieg ein gefeierter Maler. Zwischen 1928 und 1933 ist er zudem Professor an der Frankfurter Städelschule. Doch dann dreht sich der Wind. Seine Bilder gelten plötzlich als krankhaft und werden auf der Ausstellung „Entartete Kunst“ in München gezeigt.
Ab 1941 hat Baumeister dann Mal- und Veröffentlichungsverbot. Während seine frühen Arbeiten noch vom Impressionismus beeinflusst sind, gilt er später als einer der wichtigsten Vertreter der abstrakten Malerei. Offen für Experimente nutzt er auch ganz unterschiedliche Materialien und Techniken für seine Bilder. So bearbeitet er die Grundierung mit einem Metallkamm, überzieht schwarze Flächen zeitweise mit Buttermilch und setzt Sand und Kitt als „Farben“ ein.
Schwingende Farben
Während die frühen Gemälde und Zeichnungen von Ernst Wilhelm Nay noch Dünen zeigen oder Fische, Berge und Seen, werden seine Bilder in den 1940er Jahren immer abstrakter. Nay, der sich nie einer Künstlergruppierung anschließt, entwickelt mit seinen sogenannten Scheibenbildern eine ganz eigene abstrakte Bildsprache..
Mit großen Punkten, Kreisen und Halbkreisen ergründet er die Wirkung der Farben. Sein Ziel ist es, die Farbflächen auf der Leinwand zum Schwingen zu bringen – ganz ohne Vorder- oder Hintergrund.