West

Die Pioniere der Moderne

Documenta: 100 Tage zeitgenössische Kunst
Kassel, untere Königsstraße, 1945
gemeinfrei

Wie viele deutsche Städte liegt Kassel nach dem Zweiten Weltkrieg und der Barbarei des NS-Regimes in Trümmern. Über 70 Prozent der Innenstadt sind zerstört. Auch das wichtigste Museum der Stadt, das Fridericianum, ist eine Ruine.

Feuerwehrleute im nach dem Krieg zerstörten Fridericianum in Kassel
Stadtarchiv Kassel, Foto: Carl Eberth

All diesen Widrigkeiten zum Trotz nutzt der Künstler, Architekt, Designer und Akademieprofessor Arnold Bode die 1955 in Kassel stattfindende Bundesgartenschau, um parallel dazu in den Überresten des Fridericianums eine internationale Ausstellung zeitgenössischer Kunst zu organisieren: die Documenta.

Arnold Bode während der documenta 2 (1959) vor Jackson Pollocks "No 32"
documenta archiv / Foto: Werner Lengemann
Ausstellungsansicht mit Kunstwerken von Hans Arp, Max Bill, Alexander Calder, Karl Hartung und Sophie Taeuber-Arp
documenta archiv / Foto: Günther Becker

Ausstellungsansicht mit Kunstwerken von Hans Arp, Max Bill, Alexander Calder, Karl Hartung und Sophie Taeuber-Arp
documenta archiv / Foto: Günther Becker

Werner Haftmann und Arnold Bode bei der Eröffnungsfeier der documenta 3, 1964
documenta archiv / Foto: Wolfgang Haut

Gemeinsam mit dem Kunsthistoriker Werner Haftmann stellt er fast 700 Werke zusammen. Schwerpunkt der ersten Documenta sind Arbeiten derjenigen Künstler, die während der Zeit des Nationalsozialismus als „entartete Kunst“ in Deutschland verfemt waren. Allerdings verhinderte Haftmann, der neuen Recherchen zufolge ein überzeugter Nazi und Kriegsverbrecher war, dass jüdische Künstlerinnen und Künstler ausgestellt wurden.

Daher steht die abstrakte Kunst, insbesondere die abstrakte Malerei der 1920er und 1930er Jahre, im Mittelpunkt der Ausstellung. Insgesamt 148 Künstlerinnen und Künstler nehmen an der ersten Documenta teil, darunter: Jean Arp, Max Ernst, Otto Dix, Alexander Calder, Lyonel Feininger, Max Bill, Max Beckmann, Fernand Léger, Ernst Ludwig Kirchner, Paul Klee, Piet Mondrian, Paula Modersohn-Becker, Franz Marc, August Macke und Henry Moore.

In der Mitte das Bild "Gelb-Rot-Blau" (1925) von Wassily Kandinsky, im Vordergrund zwei Gemälde von Ernst Ludwig Kirchner
documenta archiv / Foto: Günther Becker
"Komposition vor Blau und Gelb" (1955) von Fritz Winter an der östlichen Stirnwand des großen Malereisaals
documenta archiv / Foto: Günther Becker
Alexander Calder, "Myxomatose"
documenta archiv / Foto: Werner Lengemann
Gemälde von Paul Klee in dem ihm gewidmeten Raum im hinteren Teil der Rotunde des Museums Fridericianum – die Plastik stammt von Wilhelm Lehmbruck, die Skizze vorne rechts von Otto Meyer-Amden
documenta archiv / Foto: Günther Becker
“Ich musste aus Kassel etwas machen, um nicht unterzugehen.”
Arnold Bode

Das Museum Fridericianum am Friedrichsplatz ist zu diesem Zeitpunkt nur provisorisch instandgesetzt – mit nackten Betonböden, unverputzten Ziegelmauern und Wänden aus Leichtbauplatten. Arnold Bode improvisiert: Mit weißen und schwarzen Kunststofffolien werden Fenster abgedeckt und unschöne Mauerpartien kaschiert.

Kunstwerke von Oskar Schlemmer
documenta archiv / Foto: Günther Becker

Mehr noch: Die unverputzten, weiß gekalkten Wände sind eine spektakuläre Kulisse für seine Inszenierung. Noch Jahre später wird man von dieser Ausstellungsarchitektur sprechen, die teilweise der puren Not entspringt.

Max Bill, "Konstruktion", 1937 – im Hintergrund "Reiter" von Marino Marini, "Stahlplastik" von Hans Uhlmann
documenta archiv / Erich Müller
"Negertrompeter" von Gerhards Marcks, "Reiter" von Hermann Blumenthal und "Bildnis des Dichters Gottfried Benn" von Gustav H. Wolff
documenta archiv / Foto: Hilmar Deist
Großer Malereisaals im Museum Fridericianum
documenta archiv / Foto: unbekannt
Kunstwerke von Berto Lardera, Alexander Calder, Raymond Duchamp-Villon, Hans Arp und Sophia Taeuber-Arp
documenta archiv / Foto: Erich Müller
Rotunde mit Werken von Wilhelm Lehmbruck und Oskar Schlemmer
documenta archiv / Foto: Günther Becker

Das Konzept wird als glanzvolle Inszenierung der Kunst gefeiert. Bode gelingt es, in 100 Tagen mehr als 130.000 Besucher nach Kassel zu locken. Die Ausstellung ist damit unerwartet erfolgreich.

Die Schau wird von der Presse als „Ausnahmeereignis“ gefeiert – zu einer Zeit, in der viele Museen noch immer in Trümmern liegen und Sammlungen aufgrund der Entfernung von Kunstwerken, die von den Nationalsozialisten als „entartet“ bestimmt wurden, erst mühsam wieder aufgebaut werden müssen.

Seitdem hat sich die Documenta in zunächst vier‐, später fünfjährigem Rhythmus zur weltweit bedeutendsten Ausstellungsreihe für Gegenwartskunst entwickelt.