OST UND WEST

Von Linientreue, Verrat und Ignoranz

Der deutsch-deutsche Bilderstreit
Wolfgang Mattheuer, "Das vogtländische Liebespaar", 1972
bpk | Albertinum, Staatliche Kunstsammlungen Dresden | Elke Estel | Hans-Peter Klut, VG Bild-Kunst

„Es gibt keine Künstler in der DDR.“ Mit diesem Satz befeuert der Maler Georg Baselitz im Sommer 1990 den bis heute anhaltenden deutsch-deutschen Bilderstreit. Im Zentrum dieser Auseinandersetzung steht die Frage, ob es ernstzunehmende Kunst unter den Bedingungen der SED-Diktatur überhaupt habe geben können.

Und Baselitz provoziert weiter: Alle Künstler, die die DDR nicht verlassen haben, hätten „die Freiheit, die Liebe und das Leben verraten“.

Neue Nationalgalerie, Neuhängung der Ausstellung 1993: Werke von Werner Tübke: "Lebenserinnerungen des Dr. jur. Schulze (III)" 1965 (links) und "Frühbürgerliche Revolution in Deutschland"
bpk / Nationalgalerie, SMB / Jens Ziehe, VG Bild-Kunst

Wenige Jahre später unternimmt die Neue Nationalgalerie in Berlin den Versuch, Malerei aus der DDR in die eigene Sammlung zu integrieren, um so auch eine Wiedervereinigung im Bereich der Kunst zu fördern. Und wieder kommt es zum Eklat.

Konrad Klapheck "Glanz und Elend der Reformen" 1971 – 1973 (links) und Gerhard Richter "Grau – 349/2" 1973 (rechts)
bpk / Nationalgalerie, SMB / Jens Ziehe, VG Bild-Kunst
Konrad Klapheck, "Glanz und Elend der Reformen"
bpk / Nationalgalerie, SMB, Verein der Freunde der Nationalgalerie / Klaus Göken, VG Bild-Kunst
Gerhard Richter, "Grau n° 349", 1973
bpk / CNAC-MNAM

Vor allem jüngere ostdeutsche Künstler kritisieren, dass der mächtige DDR-Staatsmaler Willi Sitte in der Neuen Nationalgalerie zusammen mit dem Düsseldorfer Konrad Klapheck gezeigt wird. Derbe, fast aggressive Körperlichkeit neben kühlen Maschinenbildern – Linientreue hier, Autonomie und Eigensinn dort.

Willi Sitte, "Drei Männer unter der Dusche", 1964
bpk / Nationalgalerie, SMB, VG Bild-Kunst
Konrad Klapheck, "Der Angeber", 1965
bpk | Bayerische Staatsgemäldesammlungen, VG Bild-Kunst

In einem von dem ostdeutschen Kunstkritiker und Kurator Christoph Tannert verfassten offenen Brief bemängeln sie nicht nur die Ausgrenzung der unangepassten Künstler aus der DDR. Sie fordern auch, dass Bilder etablierter Maler wie Heisig oder Mattheuer entfernt werden, da sie deren künstlerische Qualität und moralische Integrität bezweifeln. In den Folgejahren gibt es von ostdeutschen Kunstschaffenden, Künstlerinnen und Künstlern immer wieder den Vorwurf einer westdeutschen Ignoranz gegenüber der Kunstentwicklung in der DDR.

Bernhard Heisig, "Preußischer Soldatentanz III"
bpk | Hamburger Kunsthalle | Elke Walford, VG Bild-Kunst
Wolfgang Mattheuer, "Die Flucht des Sisyphos", 1972
bpk | Albertinum, Staatliche Kunstsammlungen Dresden | Elke Estel | Hans-Peter Klut, VG Bild-Kunst

2017 rechnet der Kunst- und Kulturwissenschaftler Paul Kaiser mit den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden ab und entfacht den Bilderstreit erneut.

 

„Mit brachialer Geste und ganz ohne Begründung (…) wurde die kunstgeschichtliche Epoche zwischen 1945 und 1990 (…) ins Depot entsorgt.“

“Wir müssen endlich von dem DDR-Label wegkommen – es ist nicht mehr zeitgemäß.”
Paul Kaiser, Kunstwissenschaftler

Damit grenze man drei Generationen ostdeutscher Künstlerinnen und Künstler aus. Nach diesem Vorwurf folgt eine heftig geführte Debatte, begleitet von unzähligen Diskussionsveranstaltungen im Museum. Erst die Ausstellung „Ostdeutsche Malerei und Skulptur 1949–1990“ kann 2018 für Beruhigung sorgen und wird ein großer Publikumserfolg.